Die aktuelle Listenflut bei den Nationalratswahlen dürfte viele Wähler abschrecken. Die Anzahl ist zu reduzieren und dafür der innerparteiliche Wettbewerb zu befördern.
Publiziert in den «Schaffhauser Nachrichten» vom 19. Oktober 2023.
Vor ein paar Tagen hat mich eine Kollegin angerufen, sie sei überfordert mit all diesen vielen Wahllisten und noch mehr Kandidaten, die um die Nationalratssitze buhlen. An den Abstimmungen nimmt sie zwar rege teil, doch wählen gegangen sei sie bisher noch nie. Meine Kollegin ist in guter Gesellschaft: Nach 1975 gingen schweizweit nie mehr als 50 Prozent der Stimmberechtigten an die Wahlurnen. Wie erste Meldungen aus einigen Städten zeigen, dürfte auch heuer die Wahlbeteiligung grob bei bloss 45 Prozent liegen.

Die ausgebreiteten Wahllisten der Nationalratswahlen 2023 im Kanton Aargau. (Foto: hu.vollenweider)
Dieses Desinteresse erstaunt, war doch die Bevölkerung während gut zwei Jahren sehr starken staatlichen Einschränkungen unterworfen. Ich hätte daher erwartet, dass ein Grossteil der Betroffenen nun mittels Wahlzettel ihre Meinung dazu kundtun wolle. Offenbar wurde dieses Verlangen bereits anlässlich der diversen Covid-Gesetz-Abstimmungen hinreichend kanalisiert und verdaut.
Aufgrund der Wahlpflicht liegen im Kanton Schaffhausen die Beteiligungsquoten zwar noch etwas höher als in den anderen Kantonen. Dennoch drängen sich meines Erachtens Massnahmen auf, um den Beteiligungsrückgang zu stoppen. So ist vordringlich die Listenflut wieder auf eine sinnvolle Anzahl zurückzustutzen. 2003 traten in Schaffhausen noch eine übersichtliche Handvoll Listen (SP, FDP, SVP, CVP und JSVP) an, 2011 waren es mit Jungparteien und Auslandschweizer-Listen schon deren elf. Und seit die Parteien keine einzige Unterschrift mehr sammeln müssen, um Wahllisten einzureichen, ist die Anzahl geradezu explodiert – das aktuelle Wahlzettelblöcklein ist 20 Listen stark. Zu mehr effektiver Auswahl führt diese Masse aber keineswegs, im Gegenteil, die Übersichtlichkeit leidet stark, insbesondere für Personen, die sich in ihrem Alltag nicht mit Politik beschäftigen. Die Komplexität und damit der Verdruss steigern sich noch zusätzlich, als mit der Anzahl der Listen auch die Listenverbindungen zunehmen. Die Intransparenz, wohin nun die eigene Stimme genau fliesst, wem sie nützt und schadet, nimmt wiederum zu.
Umgekehrt haben die Schaffhauser Wählerinnen und Wähler bei einer anderen, höchst relevanten Frage gar nichts zu sagen: welche Personen nämlich den SVP- und den SP-Sitz beerben werden, wenn in den nächsten Jahren die Wiedergewählten zurücktreten werden. Im Fall der SP ist schliesslich ein Rücktritt während der Legislatur bereits annonciert, bei der SVP im Bereich des Möglichen. In den meisten anderen Kantonen ist derzeit ein grosses Gerangel auf den hinteren Rängen um ein gutes Abschneiden oder gar einen Ersatzplatz im Gang. Man schaue nur über den Rhein, wo die Herausforderer Martin Farner (FDP) und Paul Mayer (SVP) je etwa 200’000 Franken aufwerfen. Bei uns haben diese Frage längst interne Parteigremien beantwortet, die Andreas Gnädinger (SVP) respektive Linda de Ventura (SP) auf die zweite Linie gesetzt haben. Jene können damit automatisch nachrücken.
Was nun? Erstens die Anzahl Listen wieder markant reduzieren. Da dies die Parteien nicht freiwillig tun werden, muss wieder ein Unterschriftenquorum verlangt werden, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Eine Liste pro Partei genügt. Zweitens braucht es umgekehrt auf diesen wenigen Listen mehr innerparteilichen Wettbewerb. Auch Kantone mit nur zwei Nationalratssitzen sollten daher vier oder sechs Stimmen – und somit Zeilen – auf den Wahlzetteln erhalten, damit auch in Schaffhausen echte Konkurrenz und Spannung entstehen.
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