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«Grosse Parteien haben teilweise Mühe, das neue Wahlsystem zu akzeptieren»

Drei Kantonsräte wollen, dass man nur dort für den Kantonsrat kandidieren darf, wo man wohnt. Wahlexperte Andrea Töndury hat erhebliche Bedenken.

Von Carlo Schuler, publiziert (leicht gekürzt) in der «Zentralschweiz am Sonntag» am 28.02.2016.

Im Kanton Schwyz wird am 20. März das neue Kantonsparlament gewählt. In einer Motion fordern drei bürgerliche Kantonsräte, dass Kandidierende künftig nur noch in derjenigen Gemeinde zur Wahl antreten dürfen, in der sie den Wohnsitz haben. Hintergrund: Mit dem neuen Pukelsheim-Wahlverfahren – dabei werden die Sitze zunächst aufgrund der Stimmen im gesamten Kanton auf die Parteien verteilt, erst dann erfolgt die Zuteilung in den Wahlkreisen – ist es für die Parteien wichtig, in möglichst vielen Gemeinden Kandidaturen zu stellen. Damit nimmt die Anzahl jener Personen, die ausserhalb des eigenen Wohnortes kandidieren, tendenziell leicht zu. Der SP-Kantonsrat Luka Markić plant nun einen Gegenvorstoss. Darin will er die Einführung grösserer Wahlkreise fordern. In Uri, Ob- und Nidwalden ist für die Parlamentswahlen die Wohnsitzpflicht vorgeschrieben – in Zug, Luzern und Schwyz hingegen nicht. In Zug wurde allerdings im letzten Herbst ein CVP-Vorstoss zur Einführung der Wohnsitzpflicht für erheblich erklärt.

Andrea Töndury.

Andrea Töndury.

Andrea Töndury, drei Schwyzer Kantonsräte verlangen, dass bei den Kantonsratswahlen die Kandidaten künftig immer dort wohnen müssen, wo sie sich zur Wahl stellen. Wie sehen Sie das?

Andrea Töndury:[*] Es überrascht nicht, dass dieser Vorstoss aus dem Kreis der grossen Parteien kommt. Dort hat man teilweise noch jetzt Mühe, das neue Wahlsystem zu akzeptieren. Dabei wäre das Problem mit den Einerwahlkreisen relativ einfach lösbar gewesen. Man hätte mit einer Klausel festlegen können, dass in den Gemeinden immer jene Person sicher gewählt ist, die am meisten Stimmen erzielt hat, jedenfalls sofern für seine Partei auch gesamtkantonal ein Sitzanspruch besteht.

Warum hat man das nicht gemacht?

Offenbar war man in Schwyz, aus welchen Gründen auch immer, für solche Feinheiten noch nicht bereit. Ich schliesse nicht aus, dass eine gewisse Trotzreaktion gegenüber dem neuen Verfahren eine Rolle gespielt haben könnte. Übrigens: Der Kanton Schaffhausen hat gerade kürzlich eine solche Bestimmung in sein Wahlgesetz aufgenommen.

Die Motionäre argumentieren, die Mitglieder des Kantonsrates sollen im jeweiligen Wahlkreis verankert sein. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Nein, die Frage der lokalen Verankerung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier spielt praktisch kaum eine Rolle. Wenn man der genannten Logik folgen wollte, so müsste man noch ganz andere Kriterien berücksichtigen. Eine Frau könnte sich dann nur durch eine Frau vertreten lassen, ein Bauer nur durch einen Bauern. Aber das ist nicht der Sinn der demokratischen Vertretung. Im Gegenteil: Möglicherweise legt sich eine gewählte Person, die von auswärts kommt, sogar noch mehr ins Zeug, weil sie sich in besonderem Masse rechenschaftspflichtig fühlt.

In einem Kantonsratsparlament geht es vor allem um gesamtkantonale Fragen. Die Abgeordneten sind demnach nicht primär Vertreter einer einzelnen Gemeinde, sondern des ganzen Kantons?

Ja, die Mitglieder eines kantonalen Parlaments sind in erster Linie dem Kanton und seiner Bevölkerung insgesamt verpflichtet. Das ist für die Wählerinnen und Wähler von entscheidender Bedeutung. Eine Wählerin aus einer kleinen Gemeinde kann sich mit ihren Frauenanliegen durch eine Frau aus einer andern Gemeinde besser vertreten fühlen als durch den möglicherweise konservativen Parlamentarier vor Ort.

Zudem sind die Leute heute tendenziell deutlich weniger ortsgebunden als früher. Die abnehmende Ortsgebundenheit lässt sich ja gerade im Kanton Schwyz leicht feststellen. Man wohnt und bezahlt Steuern im «Speckgürtel» am oberen Zürichsee. Beruflich und sozial ist man aber stark auf die Stadt Zürich ausgerichtet.

Mit dem Pukelsheim-Proporz ist es für die Parteien wichtig, in möglichst vielen Gemeinden Kandidaturen zu stellen. Mit der vorgesehenen Wohnsitzpflicht dürfte dies vor allem für die kleineren Parteien schwieriger werden – oder?

In der Tat. Die Festsetzung einer solchen Wohnsitzpflicht widerspricht klar dem Sinn und Geist des Pukelsheim-Verfahrens. Das neue System würde so ein Stück weit ausgehebelt. Man muss sich keinen Illusionen hingeben: Im politischen Prozess wissen und berechnen die Beteiligten jeweils ganz genau, was ihrem eigenen Vorteil dienlich ist. Trotzdem wäre eine solche Wohnsitzpflicht wohl nicht als rechtswidrig zu beurteilen. Das Bundesgericht hat sich damals im Zusammenhang mit den Fragen rund ums Thema «gerechter Proporz» ziemlich dezidiert geäussert. Gut möglich, dass es sich nun grössere Zurückhaltung auferlegen würde, falls es eine derartige Klage beurteilen müsste.

Das Problem rund um die Wohnsitzpflicht lässt sich anhand der Gemeinde Steinerberg illustrieren. Dort tritt der SVP-Kandidat – einer der Urheber dieser «Wohnsitz»-Motion – gegen eine junge SP-Frau an. Diese hat ihren Wohnsitz in einer Nachbargemeinde. Die grossen Parteien CVP und FDP treten in Steinerberg gar nicht erst zur Wahl an.

Aus demokratischer Sicht ist zu begrüssen, dass durch die ortsfremde Kandidatur wenigstens eine minimale Auswahl möglich ist. Für überzeugte CVP- und FDP-Wähler ist die Situation mehr als unbefriedigend. Deren Stimmpotenzial bleibt ungenutzt. Vielleicht bleiben sie gar der Urne fern.

Im Zusammenhang mit dem System Pukelsheim wird immer wieder die Frage nach grösseren Wahlkreisen ins Spiel gebracht. Könnten solche auch die Diskussionen rund um die Wohnsitzpflicht überflüssig machen?

Das trifft zu. Aus demokratischer Sicht wäre eine Kombination von Pukelsheim und grösseren Wahlkreisen ideal. Interessant: Im 19. Jahrhundert gab es letzteres schon im Kanton Schwyz. Damals bildeten die Bezirke die Wahlkreise. Zudem war in den alten Landsgemeindekantonen das Prinzip des Sich-selber-vertreten-Können zentral. Dass möglichst keine Stimmen verloren gehen, müsste vor diesem Hintergrund eigentlich auch für Konservative ein Anliegen sein.

 


[*] Wahlrechtsexperte Andrea Töndury ist Habilitand und Lehrbeauftragter für Öffentliches Recht an der Universität Zürich. Er verfasste verschiedene Schriften zum Thema Wahlrecht – so etwa 2012 eine Studie für die Nidwaldner Regierung. Im Jahre 2014 war er im Kanton Uri in Wahlrechtsfragen beratend tätig.

In einer Zweckgemeinschaft muss man sich nicht immer einig sein

Die Forderung, dass Bundesratsparteien keine Initiativen und Referenden lancieren sollen, verkennt den Unterschied zwischen einer Konkordanz- und und einer Koalitionsregierung.

In der ewigen Diskussion über mögliche Reformen des Volksinitiativrechts liess die ehemalige Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz 2014 mit einem neuen Vorschlag aufhorchen: Um die Volksinitiative wieder zu einem «Recht des Volkes» zurückzuführen, sollte es Parteien, die im Parlament Fraktionsstärke aufweisen, verboten werden, Volksinitiativen zu lancieren.

Huber-Hotz fand mit ihrer Forderung bei den Gesetzgebern bislang kein Gehör. Dafür findet sie nun im Anwalt Anton R. Greber einen Mitstreiter. Im «Tages-Anzeiger» veröffentlichte er am Mittwoch einen Beitrag, der in eine ganz ähnliche Richtung geht. Bundesratsparteien, so Greber, sollten «auf die Nutzung von Volksrechten» verzichten. Mit Blick auf seine Auffassung, dass «das Volk mit Initiativen und Referenden die Regierungspolitik beeinflussen und allenfalls korrigieren kann», erscheint diese Forderung legitim. Doch bei genauerem Hinsehen ist sie nicht nur unrealistisch und unpraktikabel (weil Initiativen oft nicht von Parteien selbst, sondern durch parteinahe Organisationen oder einzelne Politiker getragen werden), sondern auch unlogisch. Denn die scharfe Trennung zwischen «Volk» und «Regierung» wird im Konkordanzsystem stark verwischt.

Geburtshelferin der Konkordanz

Greber begründet seinen Vorschlag mit der «vollen Regierungsverantwortung», welche die Bundesratsparteien tragen müssten, und zwar «unter Einhaltung von verbindlichen Treuepflichten».

Eine «Treuepflicht» existiert zwar im Gesellschaftsrecht (Grebers bevorzugtem Rechtsgebiet), im Arbeitsrecht oder in der Ehe. Die Konkordanzregierung hat demgegenüber eher den Charakter einer Zweckgemeinschaft: Nicht aus Liebe und weil man immer gleicher Meinung ist, geht man sie ein, sondern, weil es zusammen leichter fällt, die Widrigkeiten des Alltags zu meistern – in der Praxis vor allem die Herausforderung, Vorlagen zu schmieden, die weder vom Parlament noch vom Volk bachab geschickt werden. Die direkte Demokratie war die Geburtshelferin der Konkordanz.

Greber macht nun aber den Umkehrschluss, dass, wer Teil einer Konkordanzregierung sei, das Damoklesschwert der Volksrechte nicht anzurühren habe. Schliesslich seien diese dazu da, der Opposition, die im Bundesrat nicht vertreten sei, eine Stimme zu geben.

Dieses Argument mag für eine Koalitionsregierung passen, wo sich Parteien auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen. Das Wesen der Konkordanzregierung ist es aber gerade, dass sie Kräfte vereint, die nicht gleich ticken. Natürlich versucht man auch in diesem System, Kompromisse zu finden und Lösungen zu erarbeiten, die möglichst für alle tragbar sind. Und falls es im Kollegium zu Mehrheitsenscheiden kommt, so werden diese aufgrund des Kollegialitätsprinzip auch von den Unterlegenen mitgetragen – den unterlegenen Mitgliedern des Bundesrat, nicht jedoch zwingend auch von der entsprechenden Partei und ihrer Organe (Fraktion, Geschäftsleitung, Delegiertenversammlung, Kantonalsektionen usw.) per se.

Es gab und gibt also bei vielen Entscheiden des Bundesrats Parteien, die mit dem Ergebnis nicht einverstanden sind.[1] Die Mitglieder des Bundesrats, die unterlegen sind, schlucken der Kollegialität zuliebe ihren Groll herunter. Aber sollen deswegen auch die Parteien daran gebunden sein, selbst in Fällen, in denen ein Entscheid ihrem eigenen Parteiprogramm fundamental zuwiderläuft? Eine solche Regel würde die Kompromissbereitschaft eher schwächen als fördern. Eine Regierung, die keine Meinungsverschiedenheiten (die Volksrechte sind nichts anderes als Ausdruck genau davon) unter den beteiligten Akteuren zulässt, mag dem Ideal einer Einparteienregierung entsprechen, passt aber schlecht zum Konkordanzsystem.

Wenn Parteien eine andere Auffassung vertreten als die Regierung, sind sie weder «unverantwortlich» noch wird die Regierung dadurch handlungsunfähig. Es zeigt nur, dass man sich nicht über alles einig ist. Überdies sind Schweizer Parteien ohnehin – analog zum Aufbau des Staates – dreistufig aufgebaut: Was womöglich der Bundesfraktion noch genehm ist, kann an der Parteibasis auf Ablehnung stossen und an einer Delegiertenversammlung in einer Resolution auf Ergreifung des Referendums kulminieren. Würde dies der (Bundesrats-)Partei verwehrt – wie es Greber intendiert –, so müsste das Wort «Volk» aus einigen Parteinamen gestrichen werden, denn basisdemokratisch wären die neuen «Zentralparteien» kaum mehr.

Symptombekämpfung

Kein Zweifel: Dass Bundesratsparteien zunehmend öfter gegen die Regierung opponieren, stellt die Konkordanz vor Herausforderungen. Doch Parteien an der Nutzung der Volksrechte hindern zu wollen, ist nichts als Symptombekämpfung. Der grosse Vorteil der direkten Demokratie ist, dass die Lösungen von Regierung und Parlament nicht in Stein gemeisselt, sondern stets herausgefordert werden und in einem öffentlichen Wettbewerb der Ideen anderen, möglicherweise besseren Vorschlägen gegenübergestellt werden können. Wäre es nicht schade, wenn sich Regierungsparteien daran nicht beteiligen könnten?

 


[1] Zumal sich Referenden und Initiativen ja nicht in erster Linie gegen Entscheide der Regierung richten, sondern gegen solche des Parlaments.

«Wir sind keine Demokratie!»

Das Wahlsystem für die US-Präsidentschaftswahlen ist fragwürdig genug. Die Vorwahlen setzen aber noch einen obendrauf.

Die Vorwahlen in den USA gehen in die heisse Phase. Am «Super Tuesday» entscheiden Republikaner in 13 und Demokraten in 11 Bundesstaaten darüber, wen sie ins Rennen um die Präsidentschaft schicken wollen. An diesem Tag dürfte auch die Vorentscheidung fallen, ob der Anti-Establishment-Kandidat Donald Trump noch von einem gemässigteren republikanischen Kandidaten eingeholt werden kann oder nicht.

Sollte es Trump tatsächlich schaffen, die republikanischen Vorwahlen zu gewinnen – Wettbüros beziffern die Chancen dafür auf über 70 Prozent –, hätte er dies massgeblich dem seltsamen Wahlsystem zu verdanken, welches in den USA zur Anwendung kommt.

Scharfe Kritik von Donald Trump

Das System der US-Präsidentschaftswahlen ist bereits unfair genug. Erstens wird im so genannten First-Past-The-Post-System gewählt, in welchem der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt, auch wenn er keine absolute Mehrheit der Stimmenden hinter sich hat (sondern nur eine relative Mehrheit).[1] Zweitens werden die wenigen Vorteile, die dieses System bietet, dadurch vereitelt, da das Verfahren in den einzelnen Staaten separat zur Anwendung kommt. Das führt dazu, dass sogar ein Kandidat gewinnen kann, der nicht einmal eine relative Mehrheit der Stimmenden hinter sich hat – so geschehen bei den Wahlen 2000, als George W. Bush weniger Stimmen holte als sein Kontrahent Al Gore, aber trotzdem ins Weisse Haus einzog. Entscheidend ist die Zahl der Wahlmänner, nicht die landesweite Stimmenzahl.

Bei den letzten Wahlen 2012 wurde dieses System von einem gewissen Donald Trump scharf kritisiert:[2]

Nun könnte ebendieser Donald Trump selbst davon profitieren.

Denn bei den republikanischen Vorwahlen kommt ein ähnliches Wahlsystem[3] zur Anwendung – nur, dass es im Vergleich mit den Präsidentschaftswahlen noch einen zusätzlichen Nachteil aufweist. Denn während am 8. November in allen Bundesstaaten gleichzeitig gewählt wird, finden die Vorwahlen gestaffelt statt. Das hat zur Folge, dass die Parteigänger in den verschiedenen Staaten sehr unterschiedlichen Einfluss darauf haben, wer für ihre Partei zu den Wahlen antritt. Die Stimmen von Demokraten und Republikanern, die in Iowa oder New Hampshire wohnen, haben besonders grosses Gewicht, denn in diesen Staaten fallen die ersten Vorentscheidungen: Wer dort schlecht abschneidet, hat wenig Chancen auf die Nomination, wer gewinnt, erhält mächtig Rückenwind für die weiteren Vorwahlen. Dagegen ist der bevölkerungsreichste Staat Kalifornien in den Vorwahlen nahezu bedeutungslos, denn die Vorwahlen finden dort relativ spät statt. In aller Regel ist das Rennen bereits entschieden, wenn die Kalifornier ihre Stimme abgeben. Doch bereits gegenüber den Wählern in den «Super Tuesday»-Staaten zählt die Stimme eines Wählers in Iowa oder New Hampshire rund fünfmal mehr, wie die Ökonomen Brian Knight und Nathan Schiff schätzen.

Kein Wunder, gibt es unter den Staaten einen regelrechten Wettstreit darüber, wer als erstes wählen darf. Um auf jeden Fall der erste zu sein, hat New Hampshire sogar in einem Gesetz festgeschrieben, dass kein anderer Bundesstaat vor ihm Vorwahlen durchführen darf. Weil der Wettbewerb dazu führte, dass sich die Vorwahlen immer weiter nach vorne verschoben, führten die Parteien schliesslich zeitliche Limiten ein und fingen an, Staaten, die «zu früh» wählten, zu bestrafen, indem diese weniger Delegierte entsenden dürfen.

Kandidaten nehmen sich Stimmen weg

Die gestaffelten Vorwahlen verschärfen auch das Problem des First-Past-The-Post-Systems, dass die Zahl der Kandidaten einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis hat. Donald Trump kam bei den bisherigen Vorwahlen jeweils auf 24 bis 46 Prozent der Stimmen. Das reichte in drei von vier Fällen zum Sieg, weil sich die Kandidaten des Partei-Establishments gegenseitig Stimmen wegnahmen. In der republikanischen Parteizentrale hofft man inständig, dass sich möglichst bald ein Herausforderer von Trump herauskristallisiert (wahrscheinlich wird das Marco Rubio sein) und die anderen Kandidaten sich möglichst bald zurückziehen. Das Problem, dass das Auftauchen zusätzlicher Kandidaten das Ergebnis einer Wahl verzerrt, besteht zwar auch, wenn die Entscheidung an einem einzigen Termin fällt. Immerhin gäbe es dann aber die Möglichkeit, das Problem durch eine leichte Anpassung des Wahlsystems (etwa hin zum so genannten Single-Transferable-Vote-System) zu entschärfen.[4]

Ein weiteres Problem, das sich aus der Verzettelung der Wahltermine ergibt, ist, dass sich damit auch der Wahlkampf in die Länge zieht. Das macht diesen für die Kandidaten zu einer ziemlich teuren Angelegenheit – was aus Sicht der Parteien ungünstig ist, weil sich die eigenen Kandidaten bei den Vorwahlen vor allem gegenseitig zerfleischen und kaum Wähler ausserhalb der Partei überzeugt werden. Aber auch für den neutralen Zuschauer ist die monatelange Wahlschlacht nicht wirklich attraktiv zum Verfolgen.

Natürlich ist Donald Trumps möglicher Sieg bei den Vorwahlen, sollte er denn Tatsache werden, nicht allein dem Wahlsystem geschuldet. Es kommt ihm aber zumindest entgegen, dass sich seine Gegner bislang vor allem gegenseitig Stimmen abnehmen. Aber vielleicht hat Trumps Erfolg ja auch seine guten Seiten. Vielleicht erinnert sich der grossmaulige Milliardär als Präsident dereinst an seine Worte und macht sich daran, das dysfunktionale amerikanische Wahlsystem zu reformieren.

 


[1] Siehe zum Wahlverfahren First-past-the-Post bereits die Beiträge Wieso die Silly Party in Harpenden verlor, Relativ willkürlich, Lotterie um das Präsidentenamt und Majorz: Revival in Schwyz, Katerstimmung in Grossbritannien. Einzig Maine und Nebraska weichen von diesem System ab und verteilen ihre Elektoren etwas proportionaler unter den Kandidaten.

[2] Hintergrund der Kritik war, dass es zeitweise danach aussah, dass Barack Obama weniger Stimmen holen würde als Mitt Romney, aber trotzdem mehr Wahlmänner erhalten würde. Am Ende lag Obama aber auch bei den Stimmen vorne.

[3] Wobei in einigen republikanischen und sämtlichen demokratischen Vorwahlen ein etwas proportionaleres System zur Anwendung kommt.

[4] Früher wurde die Problematik ausserdem dadurch relativiert, dass die Delegiertenstimmen durch die Führungen der lokalen Sektionen bestimmt wurden. Bei der Wahl der Präsidentschaftskandidaten an den Parteikongressen konnten die Delegierten zu einem anderen Kandidaten wechseln und zuweilen wurden Kandidaten auch erst am Kongress selbst aus dem Hut gezaubert. Seither wurde das Auswahlverfahren aber – zu Recht – geöffnet, um solche Manöver in den Hinterzimmern der Parteizentrale zu unterbinden.