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Wenn sich die direkte Demokratie selbst Grenzen setzt

An dieser Stelle sei auf meinen neusten Beitrag für direktedemokratie.com hingewiesen.

Der Artikel befasst sich anlässlich der anstehenden Abstimmung über die Staatsvertragsinitiative mit der Frage, weshalb die Schweizer Stimmbürger der Ausweitung direktdemokratischer Rechte im Allgemeinen skeptisch gegenüberstehen.

Kommentare sind wie immer willkommen.

Die Demokratie zerstört sich selbst

Das Parlamentsgebäude in Athen. (Bild: George Voudouris)

Am Sonntag wählt Griechenland ein neues Parlament. Aller Voraussicht nach werden die beiden dominanten Parteien, die sozialistische PASOK und die konservative Nea Dimokratia, einen historischen Rückgang ihrer Wählerstärken erleben. Protestparteien wie die rechtsextreme Chrysi Avgi werden mit ihrer Polemik gegen die Sparpolitik der Regierung massiv zulegen. Obschon das griechische Wahlsystem die grossen Parteien begünstigt,[1] werden PASOK und Nea Dimokratia möglicherweise nicht einmal gemeinsam eine Mehrheit im Parlament erreichen – es droht eine Blockade des parlamentarischen Prozesses.

Die Bürger verlieren das Vertrauen in die etablierten Parteien und die Politik – das Phänomen zeigt sich nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Kein Wunder sehen politische Beobachter durch die Schuldenkrise und die Sparpolitik bereits die Demokratie in Gefahr.[2] Ruchlose Spekulanten treiben die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe und ziehen damit die Schlinge enger um den Hals der schuldengeplagten Länder, so der Tenor der empörten Kommentare. Die Bürger hätten nichts mehr zu entscheiden, weil ihnen die Politik von internationalen Institutionen und Ratingagenturen aufgezwungen werde.

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn der Umstand, dass ein Staat von Gläubigern «erpresst» wird, setzt voraus, dass er auf Kredite angewiesen ist, weil er seine Ausgaben nicht mehr mit ordentlichen Einnahmen zu decken vermag. Die Frage muss daher auch lauten, wieso die Sorgenkinder der Eurozone, aber auch fast alle anderen westlichen Demokratien, in der Vergangenheit über ihre Verhältnisse gelebt und Schulden angehäuft haben.

Genau diese Frage stellten sich die Ökonomen James M. Buchanan und Richard E. Wagner bereits vor knapp vier Jahrzehnten. Ihr 1977 erschienenes Buch «Democracy in Deficit» ist heute aktueller denn je. Sie stellen darin die These auf, dass Demokratien eine inhärente Tendenz haben, Haushaltsdefizite zu generieren. Die Erklärung dafür ist einfach: Aus Sicht des einzelnen Bürgers hat ein Defizit unmittelbare und direkte Vorteile (mehr staatliche Leistungen und/oder tiefere Steuern). Hingegen liegen die Nachteile (Rückzahlung der Schulden plus Zinsen, Inflation) in ferner Zukunft – womöglich kann man ihre Bewältigung ganz bequem auf die nächste Generation abschieben.

Somit ist es für Politiker rational, Schulden anzuhäufen. Höhere Staatsausgaben bringen Wählerstimmen, tiefere Steuern bringen Wählerstimmen – ein ausgeglichener Haushalt aber begeistert niemanden.

Wenn also die Demokratie zerstört wird, dann nicht durch Finanzhaie und Spekulanten, sondern durch die Demokratie selbst. Die fehlende Haushaltsdisziplin war demokratisch legitimiert. Die Bürger westlicher Demokratien profitierten über Jahre von der Schuldenpolitik, und mit ihnen die Politiker, die sie wählten. Die Schuldenkrise setzte der Illusion des kostenlosen Konsums ein schmerzhaftes Ende.

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Die Demokratie kann sich nicht nur selbst zerstören, sondern auch selbst retten. Buchanan und Wagner haben sich überlegt, wie man die Tendenz von Demokratie, Schuldenberge anzuhäufe, unterbinden könnte. Weil Politiker nach ihrer These keinen Anreiz haben, von sich aus für einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu sorgen, bleibt nur die Lösung, sie dazu zu zwingen. Buchanan und Wagner schlugen daher vor, in der Verfassung festzuschreiben, dass der Staat nicht mehr ausgeben darf, als er über Steuern einnimmt. Wird dennoch ein Defizit budgetiert, werden die Ausgaben (oder alternativ die Einnahmen) automatisch angepasst.

Diesem Prinzip liegt letztlich auch die Schweizer Schuldenbremse zugrunde, die 2001 in einer Volksabstimmung angenommen worden ist. Der Entwicklung der Finanzlage der Eidgenossenschaft und dem Lob aus dem Ausland nach zu urteilen, hat sich das Instrument bewährt. Einen ähnlichen Mechanismus wollen nun auch die EU-Staaten im Rahmen des Fiskalpakts einführen.

Die rechts- und linksextremen Protestparteien in Griechenland wird er an ihrem Wahlerfolg nicht mehr hindern können.


[1] Nach der proportionalen Verteilung der Sitze auf die Parteien erhält die Partei mit den meisten Stimmen einen Bonus in Form von 40 zusätzlichen Parlamentssitzen. Ausserdem gibt es eine Sperrklausel, die kleinen Parteien den Einzug ins Parlament erschwert.

[2] Beispiele hier, hier und hier.