Gefährliches Zeitspiel

Wieso obsiegen immer mehr Volksinitiativen an der Urne? Unter anderem weil die Umsetzung von vormals angenommenen Initiativen allzu oft verschleppt und verwässert wird.

Der Bundesrat als ausführende Gewalt ist mit zwei primären Aufgaben betraut: Bundesbeschlüsse und Volksentscheide nach dem Willen des Absenders umzusetzen. Doch genau hier hapert es, wie sich vermehrt zeigt: Es häufen sich angenommene Volksinitiativen, die von der Exekutive zeitlich verzögert und inhaltlich nur mangelhaft umgesetzt werden. Das Gros der Initiativkomitees zeigt sich, trotz formellem Sieg an der Urne, entsprechend enttäuscht.

Das aktuellste Beispiel ist die Zweitwohnungsinitiative, zu welcher die Regierung soeben ihren Umsetzungsentwurf vorgelegt hat. Dieser hintertreibt gemäss Initianten die klaren Intentionen des Verfassungsgebers. Kaum anders tönt es bei den Promotoren der Verjährungs-, Unverjährbarkeits- und Ausschaffungs-, ja bis zurück zur Alpenschutz- und Rothenthurm-Initiative. So unterschiedlich die Postulate all dieser Urheber sind – es eint sie die Unzufriedenheit, wie ihre obsiegenden Volksbegehren von Bundesrat und Parlament umgesetzt wurden.

Nicht besser stehe es um die Initiative «gegen die Abzockerei», welche nun bis mindestens ins Jahr 2018 mit einer löchrigen und mangelhaften Verordnung überbrückt werde. Den tangierten börsenkotierten Gesellschaften und Pensionskassen werden jahrelange Übergangsfristen zugestanden, um die Forderungen des Volksbegehrens umzusetzen. Dabei wäre es seitens Verwaltung durchaus ein Leichtes gewesen, den bereits vorhandenen indirekten Gegenvorschlag zur Hand zu nehmen und diesen um die griffigeren Bestimmungen des Volksbegehrens zu ergänzen.

Doch der Bundesrat zog es vor, erst einmal mit Verordnungen und Vernehmlassungen zu hantieren. Wen wundert’s: Letztere sind Instrumente der Exekutive. Für ein zügiges Gesetz müsste man das Dossier dem Parlament übertragen. Die Exekutive betreibt Machtpolitik – auf dem Rücken der Direktdemokratie. Was wiederum dazu führt, dass weitere Initiativen reüssieren.

Die folgende Übersicht der letzten zehn angenommenen Volksinitiatven zeigt, wie lange nach dem Abstimmungserfolg jeweils gewartet werden musste, bis das ausführende Gesetz in Kraft gesetzt wurde. Mit mindestens vier Jahren Wartezeit ist zu rechnen (weitaus zügiger drehen die Bundesberner Mühlen einzig, wenn ein Beitritt zu einer supranationalen Organisation angestrebt wird):

Angenommene Volksinitiative Abstimmung Übergangsregelung Inkrafttreten Ausführungs-
gesetz
Dauer Umsetz-
zung
«zum Schutze des Alpengebietes vor dem Transitverkehr» 20.02.1994 Umsetzungsauftrag innert 10 Jahren 01.01.2001 7 Jahre
«für den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen (UNO)» 03.03.2002 keine 10.09.2002 6 Monate
«Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» 08.02.2004 keine 01.08.2008 4½ Jahre
«für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft» 27.11.2005 5-jähriges Moratorium keines, direkt anwendbar
«Für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern» 30.11.2008 keine 01.01.2013 4 Jahre
«Gegen den Bau von Minaretten» 29.11.2009 keine keines, direkt anwendbar
«für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)» 28.11.2010 Gesetzgebungsauftrag innert 5 Jahren frühestens 2016 min. 5 Jahre
«Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!» 11.03.2012 Gesetzgebungsauftrag innert 2 Jahren; eventualiter ab dann  Verordnung frühestens 2016 min. 4 Jahre
«gegen die Abzockerei» 03.03.2013 Gesetzgebungsauftrag; zusätzlich Verordnung nach 1 Jahr frühestens 2018 min. 5 Jahre
«Gegen Masseneinwanderung» 09.02.2014 Gesetzgebungsauftrag innert 3 Jahren; eventualiter ab dann  Verordnung frühestens 2017 min. 3 Jahre

 

Es fällt auf, dass die jüngeren obsiegenden Initiativen integrierte Beschleunigungsmassnahmen für den Fall einer Annahme vorsahen: Nunmehr werden nebst den eigentlichen Forderungen gleich noch übergangsrechtliche Bestimmungen mit in den Initiativtext gepackt. Via bundesrätlicher Verordnung – oder neuerdings: durch direkte Anwendbarkeit – wird zusehends versucht, den legislativen Schlendrian zu umgehen. Die Verfassung wird dadurch gleich zum Ausführungsgesetz ihrer selbst.

Der neueste Ankömmling, die Einwanderungsinitiative, verlangt ausführende Gesetze innert drei Jahren, also per Anfang 2017. Der präsentierte Zeitplan des Bundesrats wird diesem Verfassungsauftrag indes kaum gerecht. Denn bis Mitte Jahr soll ein Grobkonzept, bis Ende Jahr erst ein Vorentwurf vorliegen. 2015 finden darauf Vernehmlassungsphase, -auswertung und -überarbeitung statt, im Herbst dürfte sich erstmals die vorberatende Kommission über die Vorlage beugen. Ins Parlament wird die Vorlage somit frühestens in der Wintersession 2015 gelangen – bald zwei Jahre nach der Abstimmung.

Dazu kommt, dass eine derart umstrittene Vorlage mehrmals zwischen den beiden Kammern herumgereicht werden wird. Erst wenn ein verabschiedetes Ausführungsgesetz vorliegt, kann konkret mit der EU verhandelt werden – bei diesem Schneckentempo frühestens Mitte 2016. Wie soll da, nach einer Verhandlungsrunde in Brüssel, gegebenenfalls in Bundesbern nachgebessert werden? Der Bundesrat steht in jener Schlussphase bald mit dem Rücken zur Wand, denn am 9. Februar 2017 fällt das Beil der «Guillotine».

Der wenig ambitiöse Zeitplan und die langsamen Berner Politmühlen könnten der Umsetzung der Einwanderungsinitiative noch einen Strich durch die Rechnung machen. Das bundesrätliche Zeitspiel wird ihn nicht nur zusehends ins verhandlungstechnische Abseits versetzen. Die Regierung begünstigt darüber hinaus die Annahme von weiteren Volksinitiativen. Und das Spiel beginnt von vorn.

3 responses to “Gefährliches Zeitspiel

  1. seminym March 2, 2014 at 9:04 am

    Ein Detail: Im Moor bei Rothenthurm steht doch bis heute kein Waffenplatz?!

  2. Pingback: Bundesrätliche «Executive Non-Order» – der echte MEI-Verfassungsbruch | Napoleon's Nightmare

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