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Wahlkampf à la Hugo Chávez: Das Volk bezahlt

Hugo Chávez' Propagandamaschinerie: Kaum eine Strasse in Caracas, in der man dem Präsidenten nicht begegnet.

Hugo Chávez’ Propagandamaschinerie: Kaum eine Strasse in Caracas, in der man dem Präsidenten nicht begegnet. (Bild: Eigene Aufnahme)

Anfang Februar hat die Regierung Venezuelas die an den US-Dollar gebundene Landeswährung, den Bolívar Fuerte[1], abgewertet. Es war die fünfte Abwertung innert neun Jahren. Ein Dollar kostet nun 6.30 Bolívares – fast 50 Prozent mehr als zuvor.[2]

Für die Bevölkerung ist die Abwertung suboptimal. Die Massnahme der Regierung hat das Vermögen auf einem venezolanischen Bankkonto über Nacht mal eben um einen Drittel schrumpfen lassen. Und die galoppierende Inflation von über 20 Prozent dürfte sich weiter beschleunigen.

Für die Regierung ist die Abwertung hingegen eine feine Sache. Nicht nur steigt damit der Wert ihrer Ölexporte (die in Dollar abgegolten werden). Sie reduziert damit auch die drückende Last der Staatsschulden (die in der Regel auf Bolívares lauten). Dies ist auch dringend nötig, denn trotz des rekordhohen Ölpreises befinden sich die Staatsfinanzen in einem erbärmlichen Zustand. Tatsächlich hat das Budgetdefizit 2012 mit schätzungsweise 17.5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) ein neues Rekordhoch erreicht. (Zum Vergleich: Das Defizit Griechenlands betrug 8.1 Prozent.)

Doch warum ist der Staatshaushalt Venezuelas trotz sprudelnder Öleinnahmen derart aus dem Lot geraten? Eine mögliche Erklärung bietet die Tatsache, dass 2012 Präsidentschaftswahlen stattgefunden haben, bei denen der sozialistische Amtsinhaber Hugo Chávez mit klarer Mehrheit im Amt bestätigt wurde.

Wie in diesem Blog bereits einmal thematisiert, neigen Regierungen, die wiedergewählt werden wollen, dazu, die Staatsausgaben zu erhöhen und die Steuereinnahmen zu reduzieren, weil beides Wählerstimmen bringt, während ein ausgeglichenes Budget die Wähler weniger interessiert. Plausiblerweise sollte dieser Effekt unmittelbar vor Wahlen am deutlichsten zu sehen sein.

Die Ökonomen Min Shi und Jakob Svensson haben die Entwicklung der Staatshaushalte über die Amtszeiten von Regierungen genauer unter die Lupe genommen. In ihrer Analyse [PDF] von 85 Staaten kommen sie zum Schluss, dass das Haushaltsdefizit in Jahren, in denen Wahlen stattfinden, um durchschnittlich 0.9 Prozentpunkte höher liegt als in Nicht-Wahljahren. In Entwicklungsländern ist der Effekt mit 1.3 Prozentpunkten noch etwas stärker ausgeprägt.

Diese Zahlen nehmen sich allerdings bescheiden an, wenn man sie mit der Haushaltsentwicklung in Venezuela vergleicht. 2010 hatte das Defizit noch 5.7 Prozent des BIP betragen.[3] Im Jahr darauf sank es leicht auf 5.3 Prozent. 2012 schoss der Fehlbetrag dann wie erwähnt auf 17.5 Prozent hoch – eine Zunahme um mehr als 12 Prozentpunkte.[4]

Tatsächlich tat Chávez einiges für seine Wiederwahl: Die unzähligen Sozialprogramme, über die er gratis Essen, Kleider und Wohnungen an die Armen verteilen lässt, wurden im vergangenen Jahr noch ausgeweitet, um die Wähler an die Grosszügigkeit des Präsidenten zu erinnern. Die Propagandamaschinerie mit dem Führerkult um Chávez lief auf Hochtouren, garniert mit Prestigeprojekten, etwa dem gigantischen Mausoleum für den Freiheitskämpfer Simón Bolívar, das der Präsident für rund 140 Millionen Dollar bauen liess. Die Wählermobilisierung war in der Tat gewaltig – auch in ihrem finanziellen Ausmass.

Das einzige Problem an der Sache ist, dass auf dieser Welt nichts gratis ist. Gegenwärtig bezahlen die Venezolaner über die Entwertung ihrer Währung die Zeche für die Grosszügigkeit ihres Präsidenten. Doch auch die Regierung könnte für den kostspieligen Wahlkampf bald noch eine Rechnung präsentiert bekommen: Denn sollte der an Krebs erkrankte Staatschef, der sich weiterhin in Behandlung befindet, nicht in sein Amt zurückkehren können, müsste sie Neuwahlen ansetzen. Der Kandidat von Chávez’ Partei (voraussichtlich sein Stellvertreter Nicolás Maduro) dürfte dannzumal aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Situation wesentlich schlechtere Karten haben als sein Ziehvater im vergangenen Jahr.

Aber vielleicht wirkt ja eine neuerliche Beschleunigung der Schuldenspirale Wunder.


[1] Übersetzt: «Starker Bolívar»

[2] Auf dem Schwarzmarkt ist der Kurs freilich wesentlich höher.

[3] In diesem Jahr fanden Parlamentswahlen statt, die in Venezuela aufgrund des Präsidialsystems allerdings eine relativ geringe Bedeutung haben.

[4] Die Zahlen stammen vom CIA World Factbook.

Die Demokratie zerstört sich selbst

Das Parlamentsgebäude in Athen. (Bild: George Voudouris)

Am Sonntag wählt Griechenland ein neues Parlament. Aller Voraussicht nach werden die beiden dominanten Parteien, die sozialistische PASOK und die konservative Nea Dimokratia, einen historischen Rückgang ihrer Wählerstärken erleben. Protestparteien wie die rechtsextreme Chrysi Avgi werden mit ihrer Polemik gegen die Sparpolitik der Regierung massiv zulegen. Obschon das griechische Wahlsystem die grossen Parteien begünstigt,[1] werden PASOK und Nea Dimokratia möglicherweise nicht einmal gemeinsam eine Mehrheit im Parlament erreichen – es droht eine Blockade des parlamentarischen Prozesses.

Die Bürger verlieren das Vertrauen in die etablierten Parteien und die Politik – das Phänomen zeigt sich nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Kein Wunder sehen politische Beobachter durch die Schuldenkrise und die Sparpolitik bereits die Demokratie in Gefahr.[2] Ruchlose Spekulanten treiben die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe und ziehen damit die Schlinge enger um den Hals der schuldengeplagten Länder, so der Tenor der empörten Kommentare. Die Bürger hätten nichts mehr zu entscheiden, weil ihnen die Politik von internationalen Institutionen und Ratingagenturen aufgezwungen werde.

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn der Umstand, dass ein Staat von Gläubigern «erpresst» wird, setzt voraus, dass er auf Kredite angewiesen ist, weil er seine Ausgaben nicht mehr mit ordentlichen Einnahmen zu decken vermag. Die Frage muss daher auch lauten, wieso die Sorgenkinder der Eurozone, aber auch fast alle anderen westlichen Demokratien, in der Vergangenheit über ihre Verhältnisse gelebt und Schulden angehäuft haben.

Genau diese Frage stellten sich die Ökonomen James M. Buchanan und Richard E. Wagner bereits vor knapp vier Jahrzehnten. Ihr 1977 erschienenes Buch «Democracy in Deficit» ist heute aktueller denn je. Sie stellen darin die These auf, dass Demokratien eine inhärente Tendenz haben, Haushaltsdefizite zu generieren. Die Erklärung dafür ist einfach: Aus Sicht des einzelnen Bürgers hat ein Defizit unmittelbare und direkte Vorteile (mehr staatliche Leistungen und/oder tiefere Steuern). Hingegen liegen die Nachteile (Rückzahlung der Schulden plus Zinsen, Inflation) in ferner Zukunft – womöglich kann man ihre Bewältigung ganz bequem auf die nächste Generation abschieben.

Somit ist es für Politiker rational, Schulden anzuhäufen. Höhere Staatsausgaben bringen Wählerstimmen, tiefere Steuern bringen Wählerstimmen – ein ausgeglichener Haushalt aber begeistert niemanden.

Wenn also die Demokratie zerstört wird, dann nicht durch Finanzhaie und Spekulanten, sondern durch die Demokratie selbst. Die fehlende Haushaltsdisziplin war demokratisch legitimiert. Die Bürger westlicher Demokratien profitierten über Jahre von der Schuldenpolitik, und mit ihnen die Politiker, die sie wählten. Die Schuldenkrise setzte der Illusion des kostenlosen Konsums ein schmerzhaftes Ende.

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Die Demokratie kann sich nicht nur selbst zerstören, sondern auch selbst retten. Buchanan und Wagner haben sich überlegt, wie man die Tendenz von Demokratie, Schuldenberge anzuhäufe, unterbinden könnte. Weil Politiker nach ihrer These keinen Anreiz haben, von sich aus für einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu sorgen, bleibt nur die Lösung, sie dazu zu zwingen. Buchanan und Wagner schlugen daher vor, in der Verfassung festzuschreiben, dass der Staat nicht mehr ausgeben darf, als er über Steuern einnimmt. Wird dennoch ein Defizit budgetiert, werden die Ausgaben (oder alternativ die Einnahmen) automatisch angepasst.

Diesem Prinzip liegt letztlich auch die Schweizer Schuldenbremse zugrunde, die 2001 in einer Volksabstimmung angenommen worden ist. Der Entwicklung der Finanzlage der Eidgenossenschaft und dem Lob aus dem Ausland nach zu urteilen, hat sich das Instrument bewährt. Einen ähnlichen Mechanismus wollen nun auch die EU-Staaten im Rahmen des Fiskalpakts einführen.

Die rechts- und linksextremen Protestparteien in Griechenland wird er an ihrem Wahlerfolg nicht mehr hindern können.


[1] Nach der proportionalen Verteilung der Sitze auf die Parteien erhält die Partei mit den meisten Stimmen einen Bonus in Form von 40 zusätzlichen Parlamentssitzen. Ausserdem gibt es eine Sperrklausel, die kleinen Parteien den Einzug ins Parlament erschwert.

[2] Beispiele hier, hier und hier.