Der deutsche Fussballspieler Moritz Volz hat kürzlich ein Buch über seine Zeit beim FC Arsenal geschrieben. In dem Werk befasst er sich unter anderem mit der Frage, weshalb eigentlich die Waschbecken in England getrennte Hähne für kaltes und warmes Wasser haben. Der praktische Nutzen der Installation ist schwer zu erkennen, stellt sie den Benutzer doch vor die wenig verlockende Wahl, seine Hände entweder zu unterkühlen oder zu verbrühen. Die Theorie, dass die Briten ein grundsätzlich anderes Temperaturempfinden als die Festlandeuropäer haben, vermag ebenfalls nicht wirklich zu überzeugen. Nach längerem Nachdenken fand Volz schliesslich eine einfache Erklärung für das Phänomen: «Die Wasserhähne waren getrennt, weil es schon immer so war. Und was schon immer so war, änderte man nicht so einfach in diesem Land.»
Möglicherweise erklärt dies auch, weshalb sich die britische Politik derart schwer damit tut, das House of Lords zu reformieren und zu einer wenigstens halbwegs demokratischen Institution zu machen. Seit gut hundert Jahren reden die Politiker von der Reform des Oberhauses. Doch erreicht haben sie bisher lediglich eine schrittweise Beschneidung der Kompetenzen der Lords. Die Mitglieder des Oberhauses selbst werden nach wie vor ernannt, erben ihren Titel oder sind Bischöfe. Nur gewählt ist keiner der Herren und Damen. So war es schon immer – und so wird es wohl vorerst auch bleiben.
Denn das von der konservativ-liberalen Koalitionsregierung vorgeschlagene Gesetz zur Reform des House of Lords liegt bereits nach der ersten Beratung im Unterhaus im Sterben. Der Entwurf ist ein vorsichtiger Kompromiss, der einen langsamen Übergang zu einem Parlament vorsieht, in das die Mehrheit der Mitglieder gewählt (ein Teil aber immer noch ernannt) würde. Der konservative Premierminister David Cameron hatte die Reform 2010 als Zugeständnis an die Liberaldemokraten für deren Regierungsbeteiligung akzeptiert. Doch im Unterhaus stellten sich konservative Hinterbänkler gegen die offizielle Position der Partei und blockierten das Gesetz. Nur dank der Stimmen der Opposition erlitt die Vorlage nicht schon in der ersten Lesung Schiffbruch. Nun steht eine zweite Beratung an. Dort können die traditionalistischen Rebellen die Debatte aber so lange verzögern, bis die Legislaturperiode abgelaufen ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Liberaldemokraten bei einem für sie zentralen Anliegen am Ende mit abgesägten Hosen dastünden.
Wieso aber tut sich die britische Politik derart schwer damit, eine Institution, die aus dem frühen Mittelalter stammt, an die moderne Zeit anzupassen? An der mangelnden Unterstützung in der Bevölkerung kann es nicht liegen, wünscht doch eine solide Mehrheit der Stimmbürger eine Reform des Oberhauses. Auch versprachen alle drei grossen Parteien im Wahlkampf, sich des Problems anzunehmen.
Der Widerstand der Traditionalisten wäre vielleicht verständlich, wenn es irgendwelche Vorteile bringen würde, dass Parlamentsmitglieder ernannt werden oder ihren Sitz erben. Die Lords sehen sich selbst oftmals als besonders geeignete Gesetzgeber, weil sie keine Abwahl fürchten müssen und deshalb unabhängiger politisieren könnten. Die Realität deckt sich allerdings nicht mit diesem Selbstverständnis – im Gegenteil: Weil sie den Wählern gegenüber nicht verpflichtet sind, verpflichten sich die Lords gerne anderen Interessen, mit Vorliebe solchen, die sie dafür grosszügig entschädigen. Manche von ihnen waren in der Vergangenheit sogar bereit, Bestechungsgelder anzunehmen. Die Höchststrafe dafür war eine Suspendierung vom Parlament für sechs Monate. Ein definitiver Ausschluss ist nicht möglich – wer einmal Lord ist, bleibt es in der Regel auf Lebenszeit.
Dass sich die britische Politik derart schwertut mit einer Reform des House of Lords, hat aber möglicherweise einen viel einfacheren Grund: Die grossen Parteien haben eigentlich gar kein Interesse daran. Es ist ein offenes Geheimnis, dass David Cameron mit einem Scheitern des Gesetzes gut leben könnte (sofern nicht gleich die Regierungskoalition zerbricht, was jedoch unwahrscheinlich ist). Immerhin hat er als Premierminister die Macht, neue Mitglieder selbst zu bestimmen. Zudem sitzen im Oberhaus einige der wichtigsten Unterstützer und Geldgeber seiner Partei, mit denen er es sich lieber nicht verscherzen möchte.
Doch auch die oppositionelle Labour-Partei ist alles andere als unschuldig. Man erinnere sich an den so genannten «Cash for Honours»-Skandal, als herauskam, dass mehrere vom damaligen Premier Tony Blair vorgeschlagene Lords kurz vor ihrer Nomination grössere Geldmengen an Labour gegeben hatten, womit sie den Verdacht erweckten, sich ihre Titel erkauft zu haben. Die einzige in der Sache einigermassen unbefangene der grossen Parteien sind die Liberaldemokraten. Sie sind aber schlicht zu schwach, um selbst eine Reform durchzusetzen.
So dürfte alles beim Alten bleiben: Die Parteien spielen auf Zeit, fordern öffentlich lautstark die Reform des Oberhauses und machen ihre politischen Gegner für deren Scheitern verantwortlich. Wenn sie sich da mal nicht die Finger verbrennen.
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