Eidgenössische Volksinitiativen werden immer wieder mit einer übermässig hohen Anzahl an Unterschriften eingereicht. Damit will wohl politischer Druck auf die danach behandelnden Gremien ausgeübt werden. Dieses legitime Ziel wird hierdurch aber kaum erreicht – dafür anderen Komitees geschadet.
Heute wurde die Volksinitiaitve «für ein bedingungsloses Grundeinkommen» mit rund 126’000 bescheinigten Unterschriften eingereicht. Nötig gewesen wären lediglich deren 100’000. Initiativkomitees müssen zwar durchaus eine gewisse Sicherheitsmarge einkalkulieren, da die Bundeskanzlei nicht alle bescheinigten Unterschriften auch tatsächlich akzeptiert. Denn sie kontrolliert mitunter, ob die Gemeinden richtig gezählt haben und ob die verwendeten Unterschriftenlisten den gesetzlichen Erfordernissen entsprechen. Daher gehen in «Bern» zumeist ein paar Prozent der Unterschriften verloren.
Doch ab und an sammeln breit abgestützte oder besonders eifrige Initiativkomitees eine übermässig hohe Anzahl von Unterschriften für ihr Begehren. Die folgende Tabelle zeigt die 15 zur Abstimmung gebrachten Volksbegehren oder direkten Gegenentwürfe mit den meisten gültigen Unterschriften:
Datum Abstimmung |
Titel der Volksinitiative / direkter Gegenentwurf |
Gültige Unterschriften |
Stimmempfehlung Bundesrat bzw. Parlament |
16.02.1992 |
Volksinitiative «für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)» |
390’273 |
beide Nein |
10.02.1946 |
Gegenentwurf: Bundesbeschluss über das Volksbegehren betreffend eine Gütertransportordnung |
384’760 |
Parlament: Ja |
02.06.1935 |
Volksinitiative «Bekämpfung der Wirtschaftskrise» |
334’699 |
beide Nein |
22.01.1939 |
Gegenentwurf: Bundesbeschluss über das Volksbegehren für Einschränkung der Anwendung der Dringlichkeitsklausel |
289’765 |
Parlament: Ja |
12.03.1995 |
Gegenentwurf: Bundesbeschluss über die Volksinitiative «für eine umweltgerechte und leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft» |
262’435 |
beide Ja |
26.11.1989 |
Volksinitiative «pro Tempo 130/100» |
256’207 |
beide Nein |
09.06.1985 |
Volksinitiative «Recht auf Leben» |
227’472 |
beide Nein |
28.11.2010 |
Volksinitiative «für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)» sowie Gegenentwurf |
210’919 |
VI: beide Nein;
Ggentw.: beide Ja |
06.07.1958 |
Gegenentwurf: Bundesbeschluss über das Volksbegehren für die Verbesserung des Strassennetzes |
203’138 |
Parlament: Ja |
13.03.1955 |
Volksinitiative «Schutz der Mieter und Konsumenten (Weiterführung der Preiskontrolle)» sowie Gegenentwurf |
202’549 |
VI: beide Nein;
Ggentw.: Parl.: Ja |
08.02.2004 |
Volksinitiative «Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» |
194’390 |
beide Nein |
06.06.1993 |
Volksinitiative «für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge» |
181’707 |
beide Nein |
17.05.1992 |
Volksinitiative «zur Rettung unserer Gewässer» |
176’484 |
beide Nein |
25.11.1945 |
Gegenentwurf: Bundesbeschluss über das Volksbegehren «Für die Familie» |
168’730 |
Parlament: Ja |
05.07.1908 |
Volksinitiative «für ein Absinthverbot» |
167’814 |
Bundesrat: Nein;
Parlament: Ja |
Die Urheber dieser Initiativen wollten wohl demonstrieren, dass ihr Begehren bei den Stimmberechtigten auf besonderes hohe Resonanz stösst. Doch in der Praxis steht weder die jeweilige bundesrätlichen Botschaft zur Initiative noch die folgenden parlamentarischen Beratungen unter dem Eindruck der schieren Anzahl der Unterzeichnenden – mögen sie noch so zahlreich sein. Von den hier aufgeführten Volksbegehren wurden – trotz der beeindruckenden Anzahl an Unterzeichnenden – keine einzige vom Bundesrat zur Annahme empfohlen. Einzig die Bundesversammlung konnte sich für die Unterstützung einer Volksinitiative erwärmen, dem Absinthverbot 1908.
Unnötige Belastung der Gemeindekanzleien
Eingaben mit mehr als etwa 20 Prozent über dem geforderten Quorum liegenden Anzahl an Unterschriften belasten sowohl die Gemeindekanzleien (durch die Bescheinigungen) wie auch die Bundeskanzlei (mit der Zählung und Überprüfung) über Gebühr. Insbesondere in der Schlussphase der Sammlung von Initiativen und Referenden kann durch solch unnötige Selbstprofilierung gar anderen Komitees geschadet werden – weil jene Unterschriften länger liegen bleiben. Der effektive Nutzen (politisches Druckmittel, mediale Resonanz) steht dabei in keinem Verhältnis zum verursachten Aufwand.
Um daher die Attraktivität von Unterschriftensammlungen weit über das Quorum hinaus zu senken, sollte die Bundeskanzlei nur noch das Zustandekommen von Initiativen publizieren, nicht jedoch die eingereichte Anzahl Unterschriften. Wie in einigen Kantonen (bspw. Zürich) üblich, müsste die Bundeskanzlei sodann nur noch so viele gültige Unterschriften zählen, bis das erforderliche Quorum von 100’000 erreicht ist. Die Nachfolger von Oswald Sigg (Co-Initiant der Grundeinkommen-Initiative und ehem. Vizekanzler) würden so ein wenig entlastet.
Freilich könnten Komitees hiernach immer noch glaubhaft machen, dass ihr Begehren besonderes populär und ihm spezielle Aufmerksamkeit zu schenken sei: indem sie die Unterschriften bereits vorzeitig einreichen anstatt in letzter Minute.
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