Der Gelbe Riese wirbt in seiner Kundenzeitschrift offensiv gegen die Initiative Pro Service public. Dieses Vorgehen sei rechtlich heikel, sagen Juristen.
Publiziert in der «Neuen Luzerner Zeitung» am 25. Mai 2016.

«Rechtlich an der Grenze»: Berichterstattung zur Pro-Service-Public-Initiative im Kundenmagazin der Post. Bild: Die Post
«Die Schweiz funktioniert», verkündet die Schweizerische Post auf der Frontseite ihres Kundenmagazins, das Anfang Woche an knapp zwei Millionen Haushalte verschickt wurde. Was uns der Gelbe Riese damit sagen will: Das System der öffentlichen Grundversorgung hat sich hierzulande bewährt, weshalb es keine Änderungen braucht – insbesondere nicht jene, welche die Volksinitiative Pro Service public anstrebt. Das von Konsumentenzeitschriften lancierte Begehren will Unternehmen mit gesetzlichem Auftrag für die Grundversorgung (wie Post, SBB oder Swisscom) verpflichten, in diesem Bereich nicht nach Gewinn zu streben. Zudem sollen die Löhne auf das Niveau der Bundesverwaltung begrenzt werden.
Befürworter fehlen
Das Kundenmagazin der Post widmet der Initiative vier Seiten. Drei davon umfasst ein Interview mit den Co-Präsidenten des Nein-Komitees, Reto Lindegger vom Gemeindeverband und Thomas Egger von der Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete, die erklären, weshalb die Initiative abzulehnen sei. Dazu werden in einem Kasten die Leistungen von Post («Spitzenwerte in Sachen Qualität»), SBB («pünktlichste Bahn Europas») und Swisscom («höchste garantierte Internetgeschwindigkeit») gepriesen. Schliesslich werden auf einer Seite weitere Vertreter der Initiativgegner zitiert. Die Befürworter kommen nicht zu Wort. Einzig ein kleiner Kastentext weist auf die Ziele der Initiative hin, darunter steht ein Link zur Webseite des Initiativkomitees.
Zu Neutralität verpflichtet
Grundsätzlich ist es der Post untersagt, sich in Abstimmungskämpfe einzumischen. Als staatliches Unternehmen ist sie zur Neutralität verpflichtet, die auch für staatliche Behörden gilt. Allerdings gilt diese Pflicht laut Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht absolut: Ist ein Unternehmen von einer Vorlage «in besonderer Weise betroffen», darf es – wie jedes private Unternehmen – seine Position kundtun. Selbst dann ist es jedoch zur «Zurückhaltung» verpflichtet und muss sich an die Grundsätze der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit halten. Diesbezüglich sei das Kundenmagazin der Post «rechtlich an der Grenze», sagt Regula Kägi-Diener auf Anfrage. Die Anwältin ist auf Staats- und Verwaltungsrecht spezialisiert. Zwar sei es das gute Recht der Post, sich zur Abstimmung zu äussern. In den Beiträgen werde aber «sehr viel Butter aufs Brot gestrichen». «Ausgewogen ist anders», findet Kägi-Diener. Ob sich die Post damit noch im juristisch zulässigen Bereich befinde, sei aber schwierig zu sagen.
Für Andreas Glaser, Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich, ist der Fall indes klar: «Hier wird die Abstimmungsfreiheit verletzt.» Im Interview würden Behauptungen gemacht, die nicht belegt seien, und die Argumente der Gegenseite kämen überhaupt nicht vor. «So etwas habe ich in dieser Einseitigkeit noch nie erlebt.» Die Befürworter der Initiative stimmen in die Kritik ein. «Es ist bedenklich, wenn ein Staatsbetrieb in eigener Sache mit unserem Kundengeld einen Abstimmungskampf so massiv beeinflusst», sagt Peter Salvisberg, Geschäftsleitungsmitglied der Konsumenteninfo AG, die unter anderem die Zeitschriften «K-Tipp» und «Saldo» herausgibt und hinter der Initiative steht.
Post erkennt kein Problem
Die Post sieht hingegen kein Problem. Die Firma beteilige sich nicht aktiv an der Abstimmungskampagne, betont Mediensprecherin Jacqueline Bühlmann gegenüber unserer Zeitung. «Sie ist von der Initiative jedoch direkt betroffen und informiert deshalb die Öffentlichkeit über die Folgen, die eine Annahme für sie als Unternehmen und den von ihr erbrachten Service public hätte.» Die Befürworter könnten, falls sie die Abstimmungsfreiheit verletzt sehen, eine Stimmrechtsbeschwerde einreichen. Das hatten vor zwei Jahren bereits die Befürworter der Einheitskasseninitiative getan. Sie monierten, dass gewisse Krankenkassen – die ebenfalls einen öffentlichen Auftrag haben – im Abstimmungskampf einseitig informiert hätten. Das Bundesgericht wies die Beschwerden ab. Zwar räumte es ein, dass einzelne Beiträge etwa in Kundenmagazinen zu einseitig gewesen seien. Allerdings reichte dies aus Sicht der Lausanner Richter nicht aus, das Abstimmungsresultat «wesentlich zu beeinflussen».
Grosse Verbreitung
Ob dies bei einem Magazin, das in sämtliche Schweizer Haushalte ohne «Stopp-Werbung»-Kleber versendet wurde, ebenfalls der Fall ist, ist allerdings umstritten. Jedenfalls ist laut Regula Kägi-Diener die Verbreitung einer Publikation mitentscheidend dafür, ob die Stimmbürger beeinflusst werden, und damit für das Urteil, ob die Abstimmungsfreiheit verletzt ist oder nicht. Andreas Glaser ist überzeugt, dass eine Stimmrechtsbeschwerde «beste Chancen» hätte.
Würde das Bundesgericht eine Verletzung der Abstimmungsfreiheit feststellen, könnte es die Post dafür rügen – und im Extremfall sogar die Abstimmung aufheben. Die Hürden für so eine Massnahme sind allerdings hoch. Ob die Befürworter Beschwerde einreichen, ist noch offen. «Wir schauen uns das in aller Ruhe an», sagt Peter Salvisberg.
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