Ende Woche befindet der Kanton Zürich über eine Volksinitiative zur fakultativen Einführung des kommunalen Ausländerstimmrechts. Eine Gelegenheit, die mannigfaltigen Möglichkeiten zur politischen Partizipation durch Ausländerinnen und Ausländer in den Kantonen genauer zu beleuchten. Die verschiedenen föderalen und kommunalen Mitwirkungs- und Stimmrechte führen vom konsultativen Mitreden bis hin zum effektiven Mitwählen/-stimmen auf Gemeinde- und Kantonsebene.
Mitspracherechte
Seit ihrer ersten Verfassung 1848 kennt die Schweiz das Petitionsrecht, welches allen Bürgern erlaubt, Eingaben an jegliche Behörden zu richten. Die Unterschriften einer Petition müssen weder quantitativen noch qualitativen Bedingungen genügen, weshalb das Instrument als ziemlich schwaches Mitspracherecht gilt. Dennoch wurde es kürzlich von der Bundeskanzlerin just dahingehend verteidigt und vor deren Abschaffung gewarnt, weil es ebenso Ausländerinnen und Ausländern offen stehe. Als eine der wenigen überwiesenen Petitionen der letzten Jahre sei so auf ein Begehren einer kurdischen Partei hingewiesen, welches – letztlich erfolgreich – um Schweizer Unterstützung der Anerkennung der Kurden in Syrien bat.
Der ausländischen Bevölkerung wird sodann ein Recht auf Anhörung bei Vernehmlassungen im Gesetzgebungsverfahren zugestanden. Ein wenig weiter noch gehen zwei Kantone: Im Thurgau steht es den Gemeindeversammlungen frei, auch die ausländischen Mitbewohner miteinzubeziehen – zwar ohne Stimmrecht, immerhin aber um «in Gemeindeangelegenheiten beratend mitzuwirken». Das Konsultationsrecht wurde mitunter in Bischofszell, Gachnang, Gottlieben, Herdern, Langrickenbach und Schlatt eingeführt.
In Appenzell Ausserrhoden wiederum ist die gesamte Bevölkerung eingeladen, mittels «Volksdiskussion» zu Geschäften des Kantonsrats Anträge einzureichen. Wird davon Gebrauch gemacht, können solche gar persönlich vor dem Parlament in Herisau begründet werden. Während immerhin zu jedem zweiten Geschäft schriftliche Anträge aus dem Volk eintreffen, wird kaum jemals ein ausländischer Appenzeller vors Plenum getreten sein: Seit deren Einführung 1995 wagte sich erst eine Handvoll Personen zur mündlichen Volksdiskussion.
Stimm- und Wahlrecht in den Gemeinden
Acht Kantonsverfassungen sehen derzeit das kommunale Stimm- und Wahlrecht für Ausländer vor. Während jedoch die drei Deutschschweizer Kantone AR, BS und GR die effektive Einführung subsidiär den Gemeinden überlassen, ist das Ausländerstimmrecht in den Gemeinden der Westschweizer Kantone obligatorisch. Im Kanton Basel-Stadt wiederum bleibt das Ausländerstimmrecht ein toter Buchstabe, da die zwei potentiellen Gemeinden Bettingen und Riehen von dessen Einführung bisher absahen. Theoretisch käme hierzu wohl auch die Einwohnergemeinde Basel-Stadt infrage – die jedoch kein eigenes Parlament bestellt.
Kanton
(Art/Jahr der Einführung)
|
Subsidiarität; Passivwahl- recht |
Karenzfrist |
Automatisch /Opting-In |
Gemeinden eingeführt |
Appenzell Ausser-rhoden
(Totalrevision 1995)
|
fakultativ;
keine Vorgabe (faktisch: überall aktiv und passiv) |
10 Jahre in der Schweiz, davon 5 im Kanton |
Opting-In |
Speicher (seit 2002), Trogen (2004), Wald (1999) (3 von 20 Gemeinden) |
Basel-Stadt
(Totalrevision 2006)
|
fakultativ;
keine Vorgabe |
keine Vorgabe |
keine Vorgabe |
keine (von 3) |
Freiburg
(Totalrevision 2005)
|
obligatorisch;
nur aktiv |
5 Jahre im Kanton |
automatisch |
alle (164) |
Genf
(Volksinitia- tive 2005)
|
obligatorisch;
nur aktiv |
8 Jahre in der Schweiz |
automatisch |
alle (45) |
Graubünden
(Totalrevision 2003)
|
fakultativ;
keine Vorgabe (faktisch: überall aktiv und passiv) |
keine Vorgabe |
keine Vorgabe (faktisch: überall automatisch) |
Almens, Bever, Bregaglia, Conters, Fideris, Flerden, Masein, Pratval, Sils im Domleschg, Tschappina (alle ohne Wartefrist); Arosa, St. Antönien (beide nach 5 Jahren); Sagogn (nach 6 J.); Bonaduz, Cazis, Sumvitg, Vals (alle nach 10 J.) sowie Schnaus (Details unbekannt). (18 von 158) |
Jura
(Kantonsgrün- dung 1979)
|
obligatorisch; aktiv sowie
(ab 1998) für Parlamente passiv |
10 Jahre in der Schweiz, davon 1 im Kanton |
automatisch |
aktives Wahlrecht: alle (57);
passives Wahlrecht: alle Gemeinden mit Parlament (Delémont, Haute-Sorne, Le Bois, Porrentruy, Val Terbi) |
Neuenburg
(teilw. 1849)
|
obligatorisch;
aktiv und (ab 2007) passiv |
1 Jahr im Kanton |
automatisch |
alle (37) |
Waadt
(Totalrevision 2003)
|
obligatorisch;
aktiv und passiv |
10 Jahre in der Schweiz, davon 3 im Kanton |
automatisch |
alle (318) |
Die Ausländerinnen und Ausländer werden, mit einer Ausnahme, in allen Kantonen automatisch ins Stimmregister eingetragen, sobald die entsprechende Wartefrist abgelaufen ist. Einzig der Kanton Appenzell Ausserrhoden stellt die Stimmberechtigung erst auf Begehren der Interessierten aus. Dieses Opting-In scheint den Kreis der ausländischen Stimmbürger stark zu schmälern: So haben in der Gemeinde Speicher lediglich 8 von 400 Ausländern das nötige Begehren gestellt, im beschaulicheren Wald immerhin 10 von 45 Berechtigten. Trotz dieser hohen Hürden haben doch einige der 20 Ausserrhodner Kommunen die Mitbestimmung der Migranten refüsiert, so Bühler mit 310 zu 135 Stimmen.

Inserat der Zürcher Gegner des Ausländerstimmrechts
Einmal das Stimmrecht erlangt, darf im Appenzellischen nicht nur gewählt, sondern ebenso kandidiert werden. Denn das aktive Ausländerstimmrecht ist – erstaunlicherweise mit Ausnahme von Genf und teilweise Jura – in den meisten Kantonen an das Passivwahlrecht geknüpft. So kam es, dass in der Gemeinde Wald (AR) vor einigen Jahren ein Holländer in den Gemeinderat gewählt wurde.
Im Jura dürfen derweil in Gemeinden, die ein Parlament bestellen, die ausländischen Stimmberechtigten für (nur) ebendieses Gremium kandieren. In Delémont wurden hierdurch bereits Italiener und Spanier in die örtliche Legislative gewählt. Und im Jahr 2005 amtete mit dem Italiener Franceso Prudente (CSP) gar ein Ausländer als Parlamentspräsident – eine Premiere europaweit. Dies übrigens «ohne dass es Probleme gab», wie im Abstimmungsbüchlein 2007 zur Erweiterung der Wählbarkeit auf alle kommunalen Ämter zu lesen war. Jener Vorschlag wurde dennoch knapp abgelehnt.
Bedenkenswert ist letztlich, dass das kommunale Ausländerstimmrecht stets durch eine Totalrevision der Kantonsverfassung implementiert wurde. Einzig im Kanton Genf gelang dies 2005 durch eine explizite Volksabstimmung – mit knapper 52-Prozent-Mehrheit zur Volksinitiative «J’y vis j’y vote». Gleichentags wurde, wie sonst so oft bei diesem Ansinnen, eine parallele Volksinitiative zur Einführung des Passivwahlrechts für Ausländer mit 53 Prozent abgelehnt.
Stimm- und Wahlrecht auf Kantonsebene
Lediglich zwei Kantone haben das Ausländerstimmrecht auf kantonaler Ebene eingeführt – Jura im Rahmen seiner Kantonsgründung 1979 und Neuenburg durch die neue Kantonsverfassung 2002:
Kanton
(Art/Jahr der Einführung) |
Aktiv- / Passivwahlrecht |
Karenzfrist |
Einschränkungen |
Jura
(Kantonsgründung 1979) |
nur aktiv |
10 Jahre in der Schweiz, davon 1 im Kanton |
keine
Verfassungsänderungen und Verträge von Verfassungsrang |
Neuenburg
(Totalrevision 2002) |
nur aktiv |
5 Jahre im Kanton |
– |
Im Vergleich zu den kommunalen Rechten sind die Ausländer hier zwar ebenfalls zur aktiven Wahl befugt, wenngleich sie selbst nicht wählbar sind. Ausländische Staats-, Stände- und Kantonsräte sind daher auch in der Westschweiz nirgends anzutreffen. 2007 wurde eine Neuenburger Initiative klar verworfen, die das kantonale Passivwahlrecht eingeführt hätte. Zu den Nationalratswahlen sind die ausländischen Stimmberechtigen übrigens grundsätzlich ausgeschlossen, da diese dem nationalen, nicht dem kantonalen Recht unterstehen. Personen, welche das Stimmrecht erworben haben, sind jedoch ermächtigt, kantonale Volksbegehren zu unterzeichnen, insbesondere Initiativen und Referenden.
Der Kanton Jura – gerne als Vorzeigekanton in Sachen Ausländerstimmrecht hervorgebracht – kennt sodann eine kaum beachtete, aber essenzielle Einschränkung: Ausländische Stimmbürger dürfen zwar über Gesetzesänderungen und Finanzbeschlüsse mitbestimmen. Die höchste kantonale Normstufe indessen, die «Constitution jurassienne» und Verträge von Verfassungsrang sind weiterhin den Schweizer Stimmbürgern vorbehalten.
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